Kapitel 1 - Und es geschah ...
Nun ist es geschehen: Ich bin Manager geworden. Die Allgemeinheit verbindet damit einen Zugewinn an Wertschätzung, Bedeutung und natürlich Macht. Optimistisch und hoch motiviert freue ich mich auf die neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Endlich kann ich mein gesamtes Wissen und all die gesammelten Erfahrungen anwenden, um ein Team und das Unternehmen voran zu bringen. Hurra!
Hurra? Der Praxisschock lässt nicht lange auf sich warten und schnell merke ich, dass die Wirklichkeit eine ganz andere ist. Macht haben ich nicht gewonnen, dafür bin ich gleich zwischen mehrere Fronten geraden. Mein Team muss ich vor den ständig wechselnden Ideen des Top-Managements schützen und mäandernde Änderungen von Strategie und Zielen machen mir immer wieder das Leben schwer. Eine mittelfristige Planung der Arbeiten ist im Team kaum möglich, an den Entwurf langfristiger Ziele ist nicht zu denken. Fachlich entscheiden kann ich selbst kaum etwas, schließlich bin ich ‘People-Manager’, also der verlängerte Arm des Personalwesens. Das heißt, effektiv habe ich sogar einen Bedeutungsverlust erlitten und bin zu einem Rädchen in der Befehlskette geworden, das sich ununterbrochen mit überhöhter Geschwindigkeit zu drehen hat.
Auf der anderen Seite ist das Team selbst allzu oft nicht besonders hilfreich beim Bemühen, in der täglichen Management-Tretmühle eine seelische Balance zu behalten. Immer wieder gibt es interne Auseinandersetzungen, irgendwie fühlen sich alle ‘fehl am Platz’. Zuwendung, Wertschätzung und eine gerechte Behandlung vermisst jeder Mitarbeiter sowieso - schon aus Prinzip. Schnelle Richtungswechsel und Widersprüchlichkeiten in den Anweisungen, die zu exekutieren sind, lassen sich nicht verbergen und fallen natürlich sofort auf. In dieser Lage soll man für gute Stimmung im Team sorgen und mit Überzeugung erklären, dass alles richtig, wichtig und gut ist - obwohl ich selbst oft andere Wege einschlagen würden. An meiner Erfahrung und Fachkenntnis hat jedoch niemand mehr ein Interesse - als ‘People-Manager’ ist man nur noch in Personalverantwortung - und gefühlt sinkt die Wertschätzung meiner Arbeit weiter. Die in den vorhergehenden Jahren mühsam erarbeitete fachliche Reputation löst sich in der Luft auf, wie Nebel in der Morgensonne. Mit dem Team maximale Ergebnisse zu erzielen, ist schlichtweg unmöglicher, da dieses mit halsbrecherischen Aktionen über die Serpentinen fortlaufender Änderungen schlingert. Alle verfolgen gemeinsam ein ‘moving target’ und jedem ist bewusst, dass dieses niemals zu erreichen ist. Es vergeht nicht viel Zeit und die Mitarbeiter verlieren sich in endlosen Diskussionen über den rechten Weg, verbringen ihre Arbeitszeit mit der unfruchtbaren Überarbeitung von Bestehendem oder der Beantwortung von statistischen Anfragen über ihre Arbeit.
Und da ist dann noch das Fachmanagement, laut Definition (und meiner geheimsten Hoffnungen) der wichtigste Verbündete im täglichen Kampf an der Arbeitsfront. Leider treibt das ständige inhaltliche Umherirren auch die Produktmanager in die Flucht, Resignation oder sogar den Wahnsinn. Gerade sie sind durch den unsicheren Kurs am stärksten irritiert, ist doch kaum noch eines ihrer Ziele umsetzbar. Sehr oft enden Gespräche und Meetings mit dem Fachmanagement in einer allgemeinen Enttäuschung, da kein sichtbarer Weg zum Erreichen der Ziele erkennbar ist.
Zu allem Überfluss bleibt das den Kunden nicht verborgen. Für sie ist eine undurchsichtige Situation entstanden, die zuerst nur zu Irritationen auf ihrer Seite führt, dann jedoch in eine tiefe Besorgnis bezüglich der Leistungsfähigkeit des Teams mündet. Und dann bin ich in einen wahren Sturm zusätzlicher Diskussionen und Gespräche geraten. Jeder Kunde befürchtet, in der besonderen, angespannten Lage nicht mehr so viel Aufmerksamkeit wie zuvor zu bekommen. Im Ergebnis werden immer mehr ‘Liebesdienste’ eingefordert. Natürlich muss man in seine Kunden investieren, um diese über eine lange Zeit in einer loyalen Beziehung zu halten. Die Kapazitäten meines Teams sind jedoch schon ohne ‘kleine Geschenke’ nicht mehr ausreichend für die normalen Arbeiten. Es kommt, was kommen muss: Immer mehr Kunden werden unzufrieden, das Top-Management wird aufmerksam. Damit beginnt neuer Stress, denn die Reaktion des Top-Managements besteht im Aussenden von Eskalations-Managern, Experten und Beratern. In endlosen Diskussionsrunden werden meinem Team und mir weitere Zeiten und Ressourcen entzogen. Zu allem Überfluss sollen zusätzliche Reportings und fachliche Sonderaufgaben die ‘Situation’ bereinigen. Natürlich bewirken diese Maßnahmen das Gegenteil und am Ende bleibt gar keine Zeit mehr für die eigentlich notwendigen Arbeiten und für die Pflege der Beziehungen zu den Kunden.
All das trägt nicht zur Steigerung der Performance des Teams bei und meine Motivation ist so richtig ‘im Eimer’. So habe ich mir das nun wirklich nicht vorgestellt.
Kurz und knapp zusammengefasst:
Mein Arbeitsleben als frisch gebackener People-Manager verwandelte sich innerhalb kürzester Zeit in eine einzige Katastrophe und auch emotional könnte der Absturz kaum größer sein.
Ja, Sie haben Recht. Diese Schilderungen sind eine wirklich sehr extreme Überzeichnung der Sitation, in der Sie sich befinden. Aber das eine oder andere Problem haben Sie doch bestimmt wiedererkannt, oder?
In der Praxis zeigt sich, das ein Manager im Zentrum zwischen den drei ‘quetschenden Rädern’ aus Top-Management, Team und Kunden eingeklemmt ist. Dort droht er zermahlen zu werden.
Ach, Sie denken, bei Ihnen ist das anders. Sie arbeiten in einem kleineren Unternehmen und haben kein Top-Management ‘über’ sich? Sie wähnen sich in den lichten Weiten der freien Entscheidungsmöglichkeiten? Fehlanzeige: Es gibt da auch noch Lieferanten, Dienstleister, Behörden, … you know it - you name it. In dem Fall des fehlenden Top-Managements gibt es Potenzial für weitere Zahnräder im mahlenden Getriebe des Manager-Alltags.
Grämen Sie sich nicht, denn jedem Mitglied Ihres Teams ergeht es ebenso. Alle sind gefangen in den Widersprüchen zwischen persönlicher Motivation, der Motivation des Teams, der Motivation des Unternehmens, denen der Kunden und den vielen anderen Teilnehmern des ‘Spiels des Lebens’.